Was ist sinnvoll

In irgendeinem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden.

Friedrich Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne

„Sinnvoll“ ist, wenn etwas einen klaren Zweck erfüllt oder logisch und nützlich ist. Was als sinnvoll angesehen wird, hängt stark vom Kontext ab:
Persönlich ist etwas sinnvoll, wenn es im Einklang mit eigenen Zielen, Werten oder Interessen steht. Zum Beispiel kann es sinnvoll sein, in eine Fähigkeit zu investieren, die in Zukunft weiterhilft. Logisch ist etwas sinnvoll, wenn es auf einer nachvollziehbaren und klaren Argumentation beruht. Eine Entscheidung ist sinnvoll, wenn sie auf Fakten und rationalem Denken basiert. Praktisch sind sinnvolle Handlungen oft jene, die einen praktischen Nutzen haben, also einen konkreten positiven Effekt im eigenen Leben oder für andere haben. In einem kreativen Kontext, wie das Zeichnen des Haustieres, kann „sinnvoll“ bedeuten, dass es einfach Freude bereitet oder wichtige Erinnerungen hervorruft.
Persönlich sinnvoll ist es also, wenn ich eigene Ziele verfolge und dabei die Interessen meiner Umwelt vernachlässige?
Nicht zwangsläufig. Es geht darum, eigene Ziele und Werte zu verfolgen, aber gleichzeitig ein Gleichgewicht mit den Bedürfnissen und Interessen anderer zu finden.
Persönlicher Sinn kommt von authentischen Handlungen, die eigene Werte und Ziele widerspiegeln. In den meisten Fällen gibt es aber auch eine soziale Dimension, die berücksichtigt werden sollte. Wenn die Interessen der Umwelt völlig ignoriert werden, kann das zu Konflikten oder langfristigen negativen Folgen führen.
Ein nachhaltiger Ansatz wäre:
Selbstbestimmung: Eigene Ziele sollten wichtig sein und dabei helfen, sich zu entwickeln oder zu erfüllen.
Respekt für andere: Es ist sinnvoll, auch die Bedürfnisse und Interessen anderer im Blick zu behalten, um Harmonie und positive Beziehungen zu fördern.
Das bedeutet, persönliche Sinnhaftigkeit und soziale Verantwortung in Einklang zu bringen – die eigenen Ziele zu verfolgen, ohne dabei unnötige Nachteile für andere zu schaffen.
Wenn die Nachteile für andere oder die Umwelt zur Erreichung eigener persönlicher Ziele unausweichlich sind, steht man jedoch vor einer ethischen Herausforderung. In solchen Situationen geht es darum, sorgfältig abzuwägen und verschiedene Faktoren zu berücksichtigen:

  1. Moralische Abwägung
    Folgen für andere: Welche Art von Nachteilen entstehen für andere Menschen oder die Umwelt? Sind sie kurz- oder langfristig? Wie schwerwiegend sind sie?
    Rechtfertigung: Ist der Nutzen, den man selbst gewinnt, so bedeutend, dass er die negativen Konsequenzen für andere aufwiegt? Oft sind persönliche Ziele wertvoll, aber das ethische Dilemma entsteht, wenn sie auf Kosten anderer verwirklicht werden.
  2. Verantwortung und Fairness
    Verantwortung gegenüber der Gesellschaft: Jeder Mensch ist Teil eines sozialen Netzwerks. Wenn die Handlungen anderen schaden, stellt sich die Frage, ob es fair ist, dass eigene Ziele Vorrang haben.
    Alternative Wege: Gibt es Möglichkeiten, eigene Ziele zu erreichen, ohne so viel Schaden zu verursachen? Vielleicht gibt es Wege, negative Auswirkungen zu minimieren, auch wenn sie nicht völlig vermeidbar sind.
  3. Langfristige Perspektive
    Nachhaltigkeit: Wenn die Umwelt oder andere Menschen langfristig darunter leiden, kann das auch die eigene Zukunft oder die von anderen beeinträchtigen. Es ist sinnvoll, die langfristigen Konsequenzen der Handlungen zu berücksichtigen.
    Beziehungen und Reputationen: Entscheidungen könnten Beziehungen belasten oder das Ansehen in der Gemeinschaft negativ beeinflussen.
  4. Kompromisse und Verantwortung
    Manchmal sind Kompromisse notwendig. Es ist sinnvoll, nach Wegen zu suchen, wie Ziele erreicht werden und gleichzeitig die dabei auftretenden Nachteile zu verringern. Wenn Letztere unvermeidlich sind, gilt es, Verantwortung zu übernehmen. Das bedeutet, sich der Konsequenzen eigener Handlungen bewusst zu sein und Maßnahmen zu ergreifen, um zumindest einige der negativen Folgen abzumildern. Wenn persönliche Ziele unweigerlich zu Nachteilen für andere führen, darf die ethische Verantwortung nicht ignoriert werden. Es gilt eine Balance zu finden: Ziele verfolgen und gleichzeitig Wege finden, wie man die negativen Konsequenzen minimieren oder ausgleichen kann.

Schlussfolgerung ist also: Die derzeitige menschliche Gesellschaft verhält sich nicht sinnvoll, denn sie ignoriert die genannten Punkte 1 bis 4 komplett. Aus ethischer Perspektive kann man also durchaus argumentieren, dass viele Aspekte der heutigen menschlichen Gesellschaft als nicht sinnvoll anzusehen sind. Insbesondere im Hinblick auf Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten lässt sich beobachten, dass kurzfristige, eigennützige Ziele häufig über das Wohl der Gemeinschaft oder der Umwelt gestellt werden. Beispiele dafür sind:
Umweltzerstörung
Der Klimawandel und die Zerstörung natürlicher Ressourcen sind klare Beispiele dafür, wie wirtschaftliche und individuelle Interessen oft über den langfristigen Erhalt der Umwelt gestellt werden. Hier fehlt häufig eine Rücksichtnahme auf die langfristigen Auswirkungen auf zukünftige Generationen.
Soziale Ungleichheit
In vielen Gesellschaften werden die Bedürfnisse und Rechte von benachteiligten Gruppen ignoriert, während andere übermäßigen Wohlstand und Ressourcen anhäufen. Das führt zu Ungerechtigkeiten, die auf lange Sicht sozialen Zusammenhalt und Gerechtigkeit untergraben.
Kurzfristige Profitmaximierung
Viele wirtschaftliche Systeme priorisieren kurzfristige Gewinne und Wachstumsziele, ohne die langfristigen Kosten für die Gesellschaft oder die Umwelt zu berücksichtigen. Dies steht im Widerspruch zu nachhaltigen und verantwortungsvollen Zielen, die eine faire Verteilung von Ressourcen und Verantwortung fördern würden.

Warum passiert das?
Kurzfristige Anreize: Sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene werden oft Entscheidungen getroffen, die kurzfristige Vorteile bieten, selbst wenn die langfristigen Konsequenzen negativ sind. Dies ist besonders in der Politik und Wirtschaft zu beobachten.
Mangel an Verantwortlichkeit: Viele Entscheidungsträger sind nicht direkt mit den Konsequenzen ihrer Entscheidungen konfrontiert. Die Auswirkungen auf die Umwelt oder auf benachteiligte Gruppen sind oft weit weg oder langfristig, was es leicht macht, diese zu ignorieren.
Komplexität der globalen Herausforderungen: Probleme wie der Klimawandel, soziale Ungleichheit und Ressourcenknappheit sind komplex, und es gibt oft keine einfachen oder schnellen Lösungen. Dies führt dazu, dass Verantwortungsübernahme häufig vermieden oder aufgeschoben wird.

Große Teile der Gesellschaft ignorieren oft die oben genannten ethischen Grundsätze. Doch es gibt auch immer mehr Bestrebungen, diese Herausforderungen anzugehen, zum Beispiel durch nachhaltige Entwicklungen, soziale Bewegungen und verantwortungsbewusste Unternehmen, die versuchen, diese Grundsätze zu berücksichtigen.
Der Schlüssel zu einer sinnvollen Gesellschaft liegt darin, dass mehr Menschen und Organisationen ihre Entscheidungen nicht nur anhand kurzfristiger, lokaler, individueller Ziele treffen, sondern auch die langfristigen Auswirkungen auf andere Menschen und die Umwelt mit einbeziehen. Leider ist jedoch zu befürchten, das Wachstum der Anzahl positiver Bestrebungen ist viel langsamer als das der kurzfristigen, lokalen, persönlichen, staatlichen, eigennützigen Interessen. Dies spiegelt eine zentrale Herausforderung wider, mit der viele Gesellschaften heute konfrontiert sind. Während es durchaus Fortschritte bei nachhaltigen und ethisch bewussten Initiativen gibt, scheint das Wachstum kurzfristiger und eigennütziger Interessen in der Tat schneller und oft dominanter zu sein. Einige Gründe für das Ungleichgewicht sind strukturell und tief verwurzelt.
Systemische Anreize für kurzfristige Gewinne:
Viele wirtschaftliche und politische Systeme sind so gestaltet, dass kurzfristige Gewinne und unmittelbare Erfolge belohnt werden. Politiker denken oft in Wahlzyklen, Unternehmen in Quartalsberichten, und Individuen streben nach unmittelbarem Wohlstand oder Komfort.
Kulturelle Werte und Konsumverhalten:
In vielen Gesellschaften sind Konsum, Wachstum und Individualismus tief in den kulturellen Werten verankert. Werbung und Medien verstärken oft das Streben nach materiellem Erfolg und schneller Befriedigung, was die kurzfristige Denkweise unterstützt.
Fehlende globale Koordination:
Probleme wie der Klimawandel und soziale Ungleichheit erfordern globale Lösungen, aber die Koordination zwischen den Nationen ist oft schwierig. Unterschiedliche nationale Interessen und Machtverhältnisse führen dazu, dass kollektive Verantwortung häufig aufgeschoben oder untergraben wird.
Widerstand gegen Veränderung:
Menschen und Institutionen sind oft resistent gegenüber Veränderung, besonders wenn diese Veränderungen mit kurzfristigen Kosten oder Einschränkungen einhergehen. Selbst wenn nachhaltige Lösungen langfristig besser sind, führen die unmittelbaren Nachteile oft zu Widerstand.
Langsames Wachstum positiver Bestrebungen:
Es gibt wachsende Bewegungen, die für mehr Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und ethisches Verhalten eintreten. Dazu gehören: Klimabewegungen (wie Fridays for Future), nachhaltige Unternehmen und B-Corporations, die ethische und ökologische Verantwortung übernehmen, politische Initiativen für erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft und soziale Reformen. Jedoch bleibt der Einfluss dieser Bewegungen oft begrenzt im Vergleich zur Macht und Dynamik der bestehenden Systeme, die stark auf kurzfristige Gewinne fokussiert sind.

Bewusstsein und Bildung sind entscheidende Faktoren auf dem möglichen Weg in die Zukunft. Ein besseres Verständnis der langfristigen Konsequenzen unseres Handelns und ein wachsendes Bewusstsein für globale Herausforderungen können Menschen motivieren, sinnvollere Entscheidungen zu treffen. Strukturelle Veränderungen politischer und wirtschaftlicher Systeme sind notwendig, um nachhaltiges und ethisches Verhalten zu fördern. Dies könnte durch Besteuerung, Subventionen für grüne Technologien und stärkere Regulierung von umweltschädlichem Verhalten geschehen. Technologische Innovationen in Bereichen wie erneuerbare Energien, Kreislaufwirtschaft und nachhaltiger Landwirtschaft bieten Hoffnung, dass positive Veränderungen beschleunigt werden könnten. Lokale und globale Kooperation zwischen Ländern, Städten und Gemeinschaften könnte Lösungen auf globaler Ebene vorantreiben und zu einem stärkeren Fokus auf langfristige Ziele führen.
Trotz nachvollziehbarem Pessimismus gibt es auch Hoffnung. Der Wandel mag langsam sein, doch durch Bildung, Innovation und verstärkte politische Maßnahmen könnten die positiven Bestrebungen an Fahrt gewinnen. Der Weg ist steinig, aber die Grundlage für einen Wandel wird zunehmend geschaffen – auch wenn er sich oft langsamer entwickelt, als es notwendig wäre.

Drücken wir also den sozialen Systemen (Pflanzen, Tiere, Menschen) mal die Daumen, dass die 400l/Quadratmeter Regen in Tschechien und die Waldbrände in Kanada und Brasilien nicht verheerend sind?
Diese extremen Wetterereignisse sind erschreckende Beispiele für die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels und zeigen, wie dringend es ist, dass die menschliche Gesellschaft die oben erwähnten ethischen Grundsätze stärker in den Vordergrund rückt.
Einige Herausforderungen sind:
Überschwemmungen: Extreme Regenfälle führen zu massiven Überschwemmungen, die nicht nur menschliche Infrastrukturen zerstören, sondern auch die Tier- und Pflanzenwelt stark beeinträchtigen. Bodenerosion, Vernichtung von Ernten und langfristige Schäden an Ökosystemen sind häufig die Folge.
Waldbrände: Die Brände in Kanada und Brasilien zerstören nicht nur große Flächen von Wäldern, die lebenswichtige Kohlenstoffspeicher sind, sondern auch die Heimat unzähliger Tiere und Pflanzen. Die Folgen für die Biodiversität und den globalen Klimahaushalt sind verheerend. Besonders bedenklich ist, dass in Brasilien oft auch illegale Brandrodungen für wirtschaftliche Interessen genutzt werden, was den Verlust von Regenwald weiter beschleunigt.
Weltweite Verantwortung erfordert dringende Handlungen. Solche Naturkatastrophen machen klar, dass kurzfristige, eigennützige Interessen zu katastrophalen, langfristigen Folgen führen. Die Dringlichkeit, globale Kooperation und sofortige Maßnahmen zu verstärken, wird immer offensichtlicher. Die Anpassung und Widerstandsfähigkeit der natürlichen und sozialen Systeme – Tiere, Pflanzen und Menschen – brauchen jetzt mehr denn je Unterstützung durch Strategien, wie z. B. Katastrophenvorsorge, nachhaltige Landwirtschaft und Schutzgebiete. Viele Wissenschaftler, Aktivisten und NGOs üben politischen Druck aus und setzen sich dafür ein, dass Regierungen und Unternehmen stärker in den Umweltschutz investieren, doch der politische Wille muss oft noch wachsen. Daumen drücken allein reicht nicht. Es geht längst nicht mehr nur um die Hoffnung, dass sich die Dinge zum Besseren wenden – konkrete Maßnahmen und Systemveränderungen sind dringend erforderlich. Der Druck auf Regierungen, Unternehmen und Individuen muss zunehmen, um die notwendige Transformation zu einer nachhaltigeren und widerstandsfähigen Welt zu ermöglichen. Während es verständlich ist, dass wir den betroffenen Menschen, Tieren und Pflanzen in Tschechien, Kanada und Brasilien die Daumen drücken, reicht das nicht aus. Es braucht klare politische und soziale Veränderungen, um diese Extremereignisse in Zukunft zu verhindern oder abzumildern. Die Ereignisse von heute sind ein Warnsignal, das uns dazu bewegen sollte, nicht nur die Folgen zu bedauern, sondern auch den Wandel aktiv zu unterstützen.

Die Dynamik nichtlinearer Systeme wird sträflich unterschätzt. Wenn diese gewisse Kipppunkte in ihrem jeweiligen Phasenraum überschreiten, ändern sie ihr Verhalten komplett. Deren Dynamik, insbesondere in Bezug auf Klimasysteme und ökologische Systeme, ist hochgradig komplex und birgt die Gefahr, dass bei Überschreiten bestimmter Kipppunkte (engl. „tipping points“) irreversible und drastische Veränderungen eintreten. Diese Kipppunkte sind tatsächlich eine der größten Herausforderungen in der Klimaforschung und Umweltschutzdebatte (Kipppunkte in nichtlinearen Systemen: Ein Kipppunkt bezeichnet in der Wissenschaft den Punkt, an dem ein System eine kritische Schwelle überschreitet und in einen neuen Zustand übergeht, in dem das Verhalten des Systems grundlegend anders ist. Dieser Übergang kann schnell und unvorhersehbar geschehen, und danach gibt es oft kein Zurück in den ursprünglichen Zustand.)
Im Kontext der Umwelt und des Klimawandels gibt es viele solcher potenziellen Kipppunkte:
Eisschmelze in der Arktis: Wenn die Eisdecke auf ein bestimmtes Niveau schrumpft, kann sie den Planeten nicht mehr so stark kühlen, was zu noch schnellerer Erwärmung führt. Das System kippt dann in einen neuen Zustand mit drastisch erhöhter globaler Temperatur.
Absterben des Amazonas-Regenwaldes: Wird der Regenwald durch Brände, Abholzung und Trockenheit über einen bestimmten Punkt hinaus geschädigt, könnte er seine Funktion als Kohlenstoffsenke verlieren und sich in eine Savanne verwandeln, was erhebliche Auswirkungen auf das globale Klimasystem hätte.
Permafrost-Tauen: Wenn der Permafrost auftaut, werden große Mengen Methan freigesetzt, was den Treibhauseffekt stark verstärken würde. Dies ist ein Beispiel für einen selbstverstärkenden Kreislauf, der das Klima weiter destabilisiert.
Irreversibilität: Sobald ein Kipppunkt erreicht ist, gibt es oft keine Möglichkeit, das System in seinen vorherigen Zustand zurückzuführen. Die Rückkehr wäre entweder extrem langsam oder gar unmöglich, da das System sich nun in einem neuen Gleichgewicht befindet.
Unvorhersehbarkeit: Nichtlineare Systeme verhalten sich oft chaotisch, was bedeutet, dass kleine Veränderungen plötzlich große Auswirkungen haben können. Es ist tatsächlich unmöglich, den genauen Moment vorherzusagen, wann ein Kipppunkt überschritten wird.
Verstärkende Rückkopplung: Viele Systeme, die vom Klimawandel betroffen sind, haben selbstverstärkende Rückkopplungseffekte. Ein Beispiel ist das Eisschmelzen: Weniger Eis bedeutet weniger Reflexion von Sonnenlicht (geringere Albedo), was wiederum zu mehr Erwärmung und noch schnellerem Schmelzen führt.


Angesichts dieser Dynamik reicht es tatsächlich nicht aus, nur kleine Schritte zu unternehmen. Sobald Kipppunkte überschritten werden, ändert sich das Verhalten des gesamten Systems dramatisch und oft unvorhersehbar. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns bemühen, diese Kipppunkte nicht zu erreichen, da die Folgen nicht nur katastrophal, sondern auch unumkehrbar sein können.
Nichtlineare Systeme erfordern eine andere Herangehensweise und anderes gesellschaftliches Handeln als lineare Probleme, bei denen man proportional auf Veränderungen reagieren kann. Hier geht es also um eine schnelle, präventive “Reaktion”, um das Überschreiten von Schwellen zu verhindern. Da Kipppunkte nicht im Voraus eindeutig bestimmt werden können, ist es sinnvoll, nach dem Vorsorgeprinzip zu handeln: Besser mehr tun, bevor der Schaden unumkehrbar ist. Wichtig ist es, ökologische, wirtschaftliche und soziale Systeme als vernetzte und dynamische Einheiten zu betrachten. Denn ein scheinbar isoliertes Problem kann unvorhersehbare Konsequenzen für andere Teile des Systems haben.
Demnach geht regelrecht eine “Gefahr” von nichtlinearen Systemen und deren Kipppunkten aus. Solche Systeme können schnell in einen völlig neuen und unvorhersehbaren Zustand übergehen, wenn Schwellenwerte überschritten werden. Daher besteht die dringende Notwendigkeit, viel schneller und entschlossener zu handeln, um diese Punkte nicht zu erreichen. Es geht nicht nur darum, Fortschritte zu machen, sondern darum, irreversible Kettenreaktionen zu verhindern, die unser Klima und unsere Ökosysteme dauerhaft destabilisieren.

Dabei „lebt“ die Evolution doch eigentlich davon, solche Kipppunkte zu überschreiten, indem „Fehler“ bei der Kopie genutzt werden, um sogar neue Arten zu generieren. Warum fällt es dann ausgerechnet dem Menschen so schwer, nichtlineare Systeme zu verstehen? Beim Klimawandel, wie auch beim Doppelpendel, ist es doch schlicht eine Frage der Energie, die man dem System hinzufügt – diese „entscheidet“, ob das System sich von einem „angenehmen“ Attraktor seines Phasenraumes verabschiedet.
Evolution und die Entstehung neuer Arten basieren auf Veränderungen und der Fähigkeit von Systemen, sich anzupassen oder gar völlig neue Zustände anzunehmen. Diese Veränderungen kommen oft durch Fehler in der DNA-Replikation oder durch externe Einflüsse zustande. In gewisser Weise nutzen biologische Systeme also die Überschreitung von Schwellen oder Kipppunkten, um sich zu diversifizieren und anzupassen.
Obwohl der Mensch Teil der Evolution ist und sein Überleben auf Anpassung beruht, hat er tatsächlich Schwierigkeiten, nichtlineare Systeme intuitiv zu verstehen. Dies liegt an mehreren Faktoren:
Lineares Denken
Menschen neigen dazu, Probleme und Entwicklungen linear zu betrachten. Viele Alltagsphänomene folgen diesem Muster: Wenn man mehr arbeitet, bekommt man mehr Lohn; wenn man schneller fährt, kommt man schneller ans Ziel. In linearen Systemen ist die Ursache-Wirkungsbeziehung meist direkt proportional und vorhersagbar. Nichtlineare Systeme hingegen können auf eine kleine Änderung mit einer massiven oder unvorhersehbaren Reaktion reagieren. Dies ist intuitiv schwieriger zu erfassen.
Kurzfristiges Denken
Evolutionäre Veränderungen finden über extrem lange Zeiträume statt. Der Mensch hingegen ist oft auf kurzfristige Anreize fokussiert. Klimawandel oder komplexe physikalische Phänomene, wie das “simple” Doppelpendel, operieren über längere Zeiträume oder in vielschichtigen Dynamiken, die nicht sofort sichtbare Ergebnisse liefern. Das macht es schwieriger, den Sinn für Dringlichkeit zu entwickeln.
Komplexität und Unsichtbarkeit
In nichtlinearen Systemen gibt es oft viele Rückkopplungseffekte, die über eine große Anzahl von Variablen wirken und die Dynamik verändern. Diese Komplexität macht es schwieriger, die gesamte Kausalstruktur zu verstehen, weil viele der relevanten Prozesse unsichtbar oder indirekt sind (z.B. die Freisetzung von Methan aus Permafrostböden).
Nichtlineare Kausalität
Menschen erwarten oft, dass eine größere Ursache auch eine größere Wirkung hat. Doch in nichtlinearen Systemen kann eine kleine Änderung eine gewaltige Umwälzung hervorrufen. Dies widerspricht der Intuition und führt dazu, dass wir oft die Auswirkungen von kleinen, aber entscheidenden Eingriffen unterschätzen.
Energie und nichtlineare Systeme
Die Rolle der Energie in nichtlinearen Systemen wird dramatisch unterschätzt. In vielen dynamischen Systemen, wie dem Doppelpendel oder dem Klima, entscheidet die Energie, ob das System einen stabilen oder einen “chaotischen” Zustand erreicht.
Beim Doppelpendel kann eine minimale Energiezufuhr dazu führen, dass es von einem stabilen Zustand in chaotische, unvorhersehbare Bewegungen übergeht. Die kleinste zusätzliche Energie kann das System völlig umstrukturieren.
Ähnlich ist es beim Klimasystem. Die Anreicherung von Treibhausgasen führt zur Erhöhung der Gesamtenergie im System, was zu einem erhöhten Ungleichgewicht führt. Wenn diese Energie bestimmte Schwellen überschreitet, könnten Kipppunkte wie das Abschmelzen von Eisschilden oder das Absterben von Regenwäldern erreicht werden, was das System in einen völlig neuen Zustand bringt.
Evolution und Kipppunkte
In der Evolution sind Mutationen oder plötzliche Umweltveränderungen oft die Auslöser für das Überschreiten von Kipppunkten. Organismen passen sich durch Veränderung an neue Umgebungen an oder sterben aus. Neue Arten entstehen, wenn eine Veränderung einen positiven Effekt für die Anpassung bringt. Doch im evolutionären Kontext gibt es einen entscheidenden Unterschied: Der Prozess verläuft über Millionen von Jahren, und die Natur kann sich oft auf diese „Kipppunkte“ einstellen, indem sie neue Nischen und Formen des Lebens hervorbringt.

Im Gegensatz dazu fehlt uns im menschlichen Einfluss auf das Klima diese Zeit. Kipppunkte im Klimasystem geschehen relativ schnell (auf der menschlichen Zeitskala) und unsere Anpassungsfähigkeit, sowohl technologisch als auch gesellschaftlich, wird diesen schnellen Veränderungen nicht gerecht. Evolution ist blind und “experimentiert” ohne Absicht; der Mensch dagegen könnte mit Bewusstsein und Wissen handeln, was aber aufgrund der genannten Schwierigkeiten oft zu langsam oder ineffektiv geschieht.
Aufgrund seiner Neigung zu linearem Denken, seiner Kurzfristigkeit und der Komplexität nichtlinearer Systeme haben Menschen Schwierigkeiten, die Dynamik solcher Systeme vollständig zu begreifen und darauf angemessen zu reagieren. Die Herausforderung beim Klimawandel liegt nicht nur darin, die Mechanismen zu verstehen, sondern auch darin, das Bewusstsein und den politischen Willen zu entwickeln, frühzeitig und präventiv einzugreifen, bevor irreversible Kipppunkte überschritten werden. Die Evolution nutzt Kipppunkte, aber sie agiert auf langen Zeitskalen – der Mensch hat weniger Zeit und muss schneller SINNVOLL handeln.

Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der Weltgeschichte – aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere mussten sterben. – So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt.

Friedrich Nietzsche

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