Abstraktion

Folgende intuitive, aber falsche, jahrhundertealte Vorstellung hat Albert Einstein revolutioniert: Man positioniere ‘Körper’ in einem dreidimensionalen ‘Raum’, beobachte deren zeitliche ‘Bewegung’ darin und erfinde eine ‘Kraft’, die diese Bewegung hervorruft – die Gravitationskraft, die sowohl den Apfel zur Erde fallen, als auch die Planeten um die Sonne kreisen lässt.

Um eine größere Abstraktion und längere Geltungsdauer der Beschreibung sozialer Dynamik zu erzielen, der jahrhundertealten Suche nach Erklärung von Moral, handlungsleitenden Kategorien, usw. zu entgehen, ist ein ähnlicher Paradigmenwechsel in der soziologischen Systemtheorie notwendig. Da es hier nicht Aufgabe ist, neue Begriffe zu erfinden, sondern vielmehr, die Analogie zu ersterer Revolution zu verdeutlichen, wird folgendes verwandt: ‘Körper’ (Masse und Energie) sind Subjekte, Akteure, Elemente, nicht notwendig menschlich, und werden als Individuum bezeichnet. Der ‘Raum’ ist das soziale System, die ‘Bewegung’ ist die soziale Handlung (inklusive Kommunikation) und die ‘Kraft’ nennen wir Synthalpie.

Die neue Theorie sieht damit wie folgt aus:

Die Bezeichnung ‘sozial’ wird im Sinne des Lateinischen verwendet: gemeinsam, verbunden. Individuen (lat. ungeteilt) sind Lebewesen, die zu Reproduktion und Evolution fähig sind. Einige Beispiele sind Pflanzen, Bakterien, Menschen, Tiere, Pilze. Dies illustriert bereits die Unbegrenztheit – sowohl von Individuen, als auch von sozialen Systemen-, die in der Unmöglichkeit der Abschirmung von Synthalpie letztlich zum Ausdruck kommt. Da Letztere auf das Individuum zurückwirkt, wird sie selbst ein ebensolches und die beschreibenden Zusammenhänge werden nichtlinear.

Soziale Systeme erschaffen sich also selbst und setzen damit rationaler, moralischer, ethischer, gerechter Gestaltung enge Grenzen. In diesem Prozess entstehende eigene Gesetzmäßigkeiten machen auch systemübergreifende Eingriffe und Steuerung problematisch. So entstehen Konventionen, Regeln, Maßstäbe, wie beispielsweise Moral und Gerechtigkeit, spontan (irreversibel) als emergente Folge und sind Entwicklung (Evolution) und Zerstreuung (Dissipation) unterworfen.

Als Resultat ist die, den Zustand des sozialen Systems beschreibende Eigenschaft ‘Synthalpie’, weder intensive, noch extensive Kenngröße. Sie skaliert nichtlinear mit der Anzahl der das System konstituierenden Individuen: die Synthalpie eines, aus Subsystemen bestehenden Gesamtsystems ist also weder additiv, noch ergibt sie sich als Mittelwert. Anschaulich wird dies mit der Vorstellung, einerseits die Zahl der gleichartigen Individuen zu verdoppeln oder andererseits nur andersartige hinzuzufügen. Offenbar wird dabei, aber nicht nur dann, dem Zusammenwirken, der Kooperation der Bestandteile auch durch die Verfügbarkeit von Überlebensnotwendigem Grenzen gesetzt.

Synthalpie ist berechenbar, jedoch nicht direkt messbar. Die praktische Nützlichkeit dieser Kenngröße beruht darauf, dass die durch einen Prozess, durch Handlung, Kooperation, Kommunikation, bewirkte Veränderung der Synthalpie eines Systems vereinfacht sichtbar wird, wenn der Prozess abläuft, während einige der zugrunde liegenden Bedingungen konstant sind. So sorgen beispielsweise Nachkommen in einer stabilen, bewährten Umgebung mit ausreichender Verfügbarkeit von Ressourcen für Synthalpiezuwachs, welcher messbar, vom Individuum feststellbar ist und angestrebt wird.

Solche kleinen Änderungen (positiv wie negativ) sind die Ursache sozialer Handlung. Sie finden auf unterschiedlichen Skalen statt und ihre Summe ergibt die Synthalpie eines sozialen Systems. Werden die individuell festgestellten Zuwächse “unspürbar” klein, so dienen oft (zufällige) Handlungen auf größerer Skala (Union, Trennung, Tod, Krieg, Naturkatastrophe, usw.) der Erreichung größerer Synthalpie – auch wenn dabei die Zuwächse vorübergehend negativ sind. Dies geschieht, da nicht der Gleichgewichtszustand, sondern der Fortbestand in einem Zustand maximaler Synthalpie das Ziel jedes! sozialen Systems ist.

1 thought on “Abstraktion

  1. Guten Abend aus Buenos Aires. Während Albert Camus bei der Sprache der Moral vom Begriff ‚Revolution‘ geprägt ist (L’Homme Révolté) wird hier das R entfernt und man gelangt zu Evolution. Camus hätte sicher Gefallen daran gefunden, dass dazu ‚Synthalpie‘ (von altgriechisch σύνθάλπειν, deutsch ‚zusammen erwärmen‘) benötigt wird. Denn er sagte „Was der Mensch braucht, ist menschliche Wärme“ („chaleur humaine“).

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